Herr, all mein Sehnen liegt offen vor dir,
mein Seufzen war dir nicht verborgen. Psalm 38,10
Nicht nur der warme Sommer ist vorbei, auch die dunklen Stunden nehmen zu in diesem Monat. Daran ändert sich auch in Zeiten der Erderwärmung nichts, selbst wenn der eine oder andere zu warme Tag die Erinnerung an den Sommer wach hält. Spätestens die frühe Abenddämmerung und die schnell aufkommende Kühle lässt uns ahnen: Wir sind auf dem Weg in die Winterdepression. So jedenfalls sehen es Psychologen, die vermehrt saisonale Befindlichkeitsstörungen im Herbst feststellen, die u.a. mit dem Lichtmangel zu tun haben. Das ist keineswegs eine neue Feststellung. Schon der „Urvater“ der Medizin Hippokrates (460 - 375 v. Chr.) beschrieb bereits diesen Effekt.
Der Psalm des Monatsspruchs, also jener fromme Song des Alten Testaments der Bibel, führt in genau jenes depressive Umfeld der menschlichen Existenz. Und wer selbst schon mal eine Depression gehabt hat oder Menschen mit diesem Krankheitsbild kennt, weiß, dass eine Virusgrippe dagegen einfach zu behandeln ist. Ob man nun schulmedizinisch orientiert ist und maßgeblich u.a. eine Störung des Zusammenspiels von Serotonin, Noradrenalin und Dopamin an den Synapsen der Nervenzellen ursächlich mitverantwortlich macht oder aber eine schwerwiegende psychologisch aufzuklärende seelische Störung darin sieht, Depressionen sind so oder so eine große Belastung für betroffene Menschen, deren Dasein nachhaltig verdunkelt wird. Da hilft oft kein aufmunterndes Wort oder irgendwelche Ablenkung, um wieder auf die helle Seite des Seins zu kommen. Aber wie kommt man da heraus?
Als der Psalmist, der Dichter des Liedes aus Psalm 38 lebte, war das Wort für diese Seelenbelastung noch nicht gebräuchlich. Luther nannte es „Seufzen“. Dieses Wort wird mit einem schweren körperlichen Ein- und Ausatmen verbunden, ganz anders als jenes Atmen, das das Wohlfühlen begleitet. Es ist gewissermaßen die Sprache der belasteten Seele. Anders gesagt „Seufzen ist der Stuhlgang der Seele“ wie mal eine Zeitung schrieb (Süddeutsche, März 2016) Aber leider ist es nicht ganz so einfach, die Seelenlast hinter sich zu lassen und gleichsam wegzuspülen. Und viele unserer Verdauungsstörungen halten wir (lebenslang) verborgen, was die Bauchschmerzen eher noch verstärkt.
Der o.g. Psalmist weiß aber darum, dass vor Gott seine Probleme offenliegen und Gott die Ursache des Seufzens kennt. Das ist ein gutes Gefühl, denn wir kennen das, wenn wir mit einem Menschen über unsere seelischen Belastungen reden, ist es so, als würde man in einen dunklen Raum Licht hereinlassen. Aber einfacher gesagt als getan, denn Gesprächspartner denen man sein Leid klagen kann, sind schwerer zu finden als Freunde, mit denen man heitere Stunden teilt. „Meine Lieben und Freunde scheuen zurück vor meiner Plage, und meine Nächsten halten sich ferne“, so formuliert es der Psalmendichter (Vers 12) bereits vor mehr als 2000 Jahren.
Ein heilsamer Anfang ist jedoch gemacht, wenn wir mit einem Gott rechnen, der nicht nur zuhört, sondern auch unsere Belastungen kennt und auch die Sehnsucht, davon endlich frei zu werden. Dieses Gespräch mit Gott nennen Christen Gebet. Bedrückung und Kummer haben in diesem Reden mit Gott einen guten Platz. Und: Klagen ist erlaubt!
Aber wie ist es nun mit der Hilfe? Der Liedermacher des Alten Testaments endet mit der Hoffnung, ja der Überzeugung, dass Gott seine Hilfe ist und ruft ihn sogar auf, diese nicht lange hinauszuzögern.
Christen benennen sich nach jenem Jesus von Nazareth, der als der Christus Gottes selbst fürchterliche Seelenschmerzen kannte und durchleben musste, dessen Seele „betrübt bis an den Tod“ war (Markus 14, 33). Schließlich fühlte sich Jesus sogar von Gott verlassen (Markus 15, 34). Ist es nicht befreiend, in Jesus einen Partner zu kennen, dem Depressionen nicht fremd sind? Aber er ist nicht nur der Versteher unseres Leids, sondern am Ende des Tages der Auferstandene, der letztlich Leid und Tod überwunden hat, nicht aus eigener Kraft, sondern als Gottes Erlösungstat empfangen konnte. Das war das Ende seiner Dunkelheit und auch unserer!
Aber das Gebet ist nicht die einfache Droge, die unsere seelischen Belastungen schnell wegnimmt wie eine Kopfschmerztablette. Jedoch ist es der erste Kontakt zu einem Gott, der unser Seufzen hört und kennt. Dadurch wird eine Kerze in der Dunkelheit angezündet, die es nicht sofort taghell macht, aber die die nächsten Lebensmeter ausreichend beleuchtet. Es ist die Vorfreude auf jenen neuen Frühling, der gewiss kommt, auch wenn die Dunkelheit mit jedem Tag jetzt noch zunehmen wird, im Oktober anno Domini 2018!
© D.E.